Einer ganzen Gemeinde das Leben gerettet
„Blutspender sind Lebensretter“, sagt der Volksmund. Für den ein oder anderen, der noch nie Blut gespendet hat, mag das vielleicht abstrakt klingen. Für Menschen, die aufgrund einer Erkrankung oder Verletzung schon einmal auf lebensnotwendige Blutprodukte angewiesen waren, sind diese „Lebensretter“ zu einem Teil ihres eigenen Lebens geworden.
HASSFURT - Für die Großfamilie Schramm, Wambach und Markfelder - ihre Wurzeln liegen ursprünglich in Wonfurt - mit ihren Angehörigen aus drei Generationen ist Leben retten sozusagen an der Tagesordnung. Mehr als 20 Familienangehörige spenden zum Teil schon seit Jahrzehnten regelmäßig Blut. Zusammen haben sie bereits über 1100 Blutspenden geleistet – und damit rein rechnerisch 3300 Mitmenschen das Leben gerettet. Denn mit einer Blutspende können nach Angaben des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes (BSD) bis zur drei verschiedene Blutpräparate hergestellt werden. 3300 Menschen, das sind mehr Mitbürger als beispielsweise in der Gemeinde Sand am Main (Einwohnerzahl: 3091; Stand: 31.12.2022; Quelle: Bayerisches Landesamtes für Statistik) leben.
Um das Engagement der Blutspender in einer besonderen Art und Weise ins Blickfeld zu rücken, haben Stefan Wambach aus Sand, selbst ehrenamtlich beim BRK in der Bereitschaft Haßfurt 1 aktiv und ein Mitglied der Großfamilie, gemeinsam mit Ingrid Böllner und Simone Gilley von der Servicestelle Ehrenamt des BRK-Kreisverbandes Haßberge eine besondere Idee umgesetzt: Bei einem Blutspendetermin im Oktober kamen 18 Blutspender aus dem Familienumfeld gemeinsam, um sozusagen Gesicht zu zeigen. Sieben von ihnen haben tatsächlich gespendet, zwei wurden vom Arzt nicht zur Spende zugelassen und zwei weitere mussten wegen einer akuten Erkältung aufs Spenden verzichten.
Mit 208 ist Franz Schramm aus Wonfurt Spitzenreiter, was die Anzahl der Blutspenden angeht und erhält dafür von seiner Familie und den BRK-Verantwortlichen viel Anerkennung. 208 Blutspenden bedeuten umgerechnet 104 Liter Blut, die der 71-Jährige bislang in seinem Leben gespendet hat. Setzt man das Rechenbeispiel fort, hat er so viel Blut gespendet, wie bei zirka 17 Erwachsene mit einem Körpergewicht von rund 85 Kilogramm zusammen durch deren Körper fließen. Denn ein Erwachsener hat ein Blutvolumen von rund 70 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht, also rund sechs Liter Blut im Körper.
Doch Franz Schramm sieht sich nicht als „Held“. „Ich spende gerne Blut, weil ich damit anderen Menschen helfen kann“, sagt er bescheiden. Es fühle sich „einfach gut“ an, wenn man etwas Gutes für die Allgemeinheit tun könne. Damit spricht er eine Philosophie an, die bei der Familie insgesamt sprichwörtlich im Blut liegt. „Bei uns engagieren sich alle in irgendeiner Form sozial“, berichtet der Wonfurter, beispielsweise in der Feuerwehr oder als Mesner in der Kirche.
Franz Schramm ist mit weiteren acht Geschwistern in Wonfurt aufgewachsen. Mit den Jahren ist die Großfamilie gewachsen. Derzeit zählt sie 54 Mitglieder in drei Generationen, die in Wonfurt, Haßfurt, Sand, Steinsfeld, Oberschwappach, Knetzgau, Kirchlauter, Gemeinfeld, Wülflingen und Arnstein leben. „Das Schöne ist“, erzählt der 71-Jährige stolz, „dass wir als Familie alle zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen.“ Da stimmen ihm seine beiden Brüder Ludwig (73) und Josef (74) zu, die heute in Steinsfeld bzw. Haßfurt wohnen.
Was das Blutspenden angeht, ist Franz sozusagen ein Spätzünder: Erst mit 28 Jahren ist er zum ersten Mal zum Blutspenden zum Roten Kreuz nach Haßfurt gegangen. Er hat seine beiden Brüder begleitet, die schon längere Zeit immer wieder Blut gespendet hatten. „Das war am 21. September 1979“, erinnert er sich noch an das Datum. Seitdem ist er begeisterter Blutspender, wenngleich ein Erlebnis bei seiner ersten Spende vielleicht künftig etwas mehr Zögern hätte erwarten lassen können. „Neben mir ist damals jemand umgekippt mit Kreislaufproblemen.“ Bei Franz lief aber alles bestens, „keine Schwierigkeiten“, erinnert er sich zurück.
Bereits mit 18 Jahren hat sein Bruder Josef Schramm zum ersten Mal Blut in Haßfurt gespendet, seine Eltern hatten dafür sogar mit ihrer Unterschrift eine Einwilligung gegeben. Zur damaligen Zeit, Mitte der 1960er-Jahre, hatte die Gemeinde Wonfurt für ihre Bürger immer einen Bus gestellt, damit diese zu den Blutspendeterminen nach Haßfurt fahren konnten. Weshalb er in jungen Jahren bereits die Bedeutung des Blutspendens erkannt hat? „Meine Oma hatte mal einen Oberschenkelhalsbruch und brauchte für eine Operation Spenderblut“, sagt Josef. „Da habe ich erkannt, dass man mit Blutspenden anderen Menschen helfen kann.“
Ähnlich erging es Ludwig Schramm, der zum ersten Mal in seiner Zeit bei der Bundeswehr gespendet hat und mit der Spende einem frisch Operierten helfen konnte. „Für eine Blutspende hat man damals einen Tag frei bekommen bei der Bundeswehr“, lacht der 73-Jährige. So konnte man das Nützliche sozusagen mit dem Angenehmen verbinden.
Noel Wambach aus Wonfurt ist mit seinem 18 Jahren ganz und gar Neuling, was das Blutspenden angeht. Um rechtzeitig zum Termin ins Rotkreuzhaus nach Haßfurt zu kommen, hat er an diesem Dienstag seinen Arbeitsplatz sogar ein wenig früher verlassen als sonst. Ein bisschen aufgeregt, aber zuversichtlich steht er nun in der kurzen Reihe der Menschen, die vor ihrer Blutspende noch bei einem Arzt vorstellig werden müssen, der die Gesundheitsparameter kontrolliert und mit dem Fragen geklärt werden können.
Leider wird es heute nichts mit Noels erster Blutspende: Der Arzt lässt ihn nicht für eine Spende zu, Noels Blutdruck ist ein wenig zu niedrig. Doch davon lässt sich der junge Mann nicht entmutigen. Schade zwar, hatte er sich doch schon Tage zu vor auf seinen ersten Einsatz als „Lebensretter“ gefreut. „Aber macht nichts, ich komme beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder“, sagt Noel. Darüber freut sich auch Stefan Wambach, der seinen Neffen zur ersten Blutspende ermutigt hatte und ihm als „Blutspende-Pate“ zur Seite stand.
Motiviert ist auch Christian Schramm (45 Jahre) aus Steinsfeld, der als Fachlehrer an der Mittelschule Haßfurt arbeitet. Auch er will heute zum ersten Mal Blut spenden, doch leider klappt es auch bei ihm nicht. Der Arzt muss ihn aus gesundheitlichen Gründen zurückstellen.
Doch auch Christian lässt sich nicht entmutigen: Bei einem zweiten Anlauf in November klappt es dann: Nun ist auch er erfolgreicher Erstspender – und tüchtig stolz darauf.
Das Gefühl, im Zeichen der Mitmenschlichkeit etwas Gutes zu tun, kennt der 45-Jährige schon aus früheren Zeiten: Ende der 1990er-Jahr hat er beim Bayerischen Roten Kreuz im Kreisverband Haßberge Zivildienst geleistet und war im Bereich Fahrdienst und „Essen auf Rädern“ tätig. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht“, erinnert er sich zurück.
Dass er vor seiner ersten Blutspende ein wenig nervös ist, will Christian nicht verbergen. „Das ist ganz normal“, bestätigt Ingrid Böllner, Beauftragte für das Blutspendewesen beim Kreisverband, die den 45-Jährigen bereits aus seiner „Zivi-Zeit“ kennt. Zwar war Christian schon als Kind ab und an mal dabei, wenn sein Vater zum Blutspenden ging, „aber wenn man jetzt selbst zum ersten Mal spenden will, ist man halt ein wenig nervös“, sagt er. „Man weiß ja nicht, wie man es verträgt.“
Doch alle vermeintlichen Bedenken waren umsonst. Schon während der Blutspende grinst Christian Schramm bis über beide Ohren in die Handykamera, als Simone Gilley als Beweis für seine „Tapferkeit“ ein Foto von ihm macht. Und die erste wird für Christian nicht die letzte Blutspende gewesen sein: Er will weiterhin spenden. „Es dient den Mitmenschen, und das ist ein tolles Gefühl, etwas Gutes zu tun.“
Am Ende des Tages ist Stefan Wambach, der die Aktion zusammen mit dem Team der Servicestelle Ehrenamt organisiert hat, mehr als zufrieden. „Eine ganze Familie geht Blutspenden“, hat der 45-Jährige aus Sand die Idee überschrieben, die schon im Jahr 2020 bei einem Familientreffen geboren, durch die Corona-Pandemie dann aber ein stückweit ausgebremst wurde. „Blutspenden ist eine tolle Sache“, bringt er es auf den Punkt. „Man hilft Mitmenschen und tut gleichzeitig auch etwas für sich selbst.“ Schließlich habe eine Blutspende immer auch einen gesundheitsfördernden Aspekt für den Spender selbst. Jetzt aber muss Stefan noch selbst den Ärmel hochkrempeln: Seine 36. Blutspende wartet auf ihn.
Autor: Michael Will / BRK