Im Notfall ist auf diese (Mit-)Schüler Verlass
Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit reicht aus, schon kann es passiert sein: Beim Wechsel zwischen zwei Unterrichtsstunden knickt Tobias auf der Treppe im Schulhaus um, verstaucht sich schmerzhaft das Sprunggelenk und kann nicht mehr auftreten. Ein Klassenkamerad läuft ins Sekretariat, von dort aus werden die Schulsanitäter der Schule zum Einsatz gerufen. Kurz darauf kümmern sich die in Erster Hilfe ausgebildeten Mitschüler um den Jungen. Weil abgeklärt werden muss, ob sich Tobias möglicherweise auch einen Bruch am Knöchel zugezogen hat, wird über Notruf der Rettungsdienst verständigt. Mit dem Rettungswagen wird Tobias schließlich zur Röntgenkontrolle ins Krankenhaus Haßfurt gefahren.
HASSFURT - Das exemplarische Beispiel schildert, wie ein Schulunfall ablaufen kann. Um kennenzulernen, wie nach der Erstversorgung in der Schule anschließend die Arbeit des Rettungsdienstes und des Krankenhauses abläuft, haben die Haßberg-Kliniken, Haus Haßfurt, und der BRK-Kreisverband Haßberge in Kooperation einen Aktionstag für Schulsanitäterinnen und Schulsanitäter veranstaltet. An ihm nahmen am Dienstag (19. September) Schulsanitäter der Hofheimer Jacob-Curio-Realschule und der Dr.-Ernst-Schmidt-Realschule Ebern teil.
An vier verschiedenen Stationen erhielten die Schülerinnen und Schüler Einblicke in den Rettungsdienst und die Haßberg-Kliniken. Ziel war dabei nicht zuletzt, den Jugendlichen die Arbeit in medizinischen Berufen näher zu bringen und sie im besten Fall für eine Ausbildung in diesem Bereich zu begeistern. Fachkräfte der Haßberg-Kliniken und des Bayerischen Roten Kreuzes standen Rede und Antwort und erzählten aus ihrem Berufsalltag.
„Ich finde es beeindruckend, dass Jugendliche bereit sind, ihre Freizeit für andere zu investieren. Das ist gerade in den heutigen Zeiten nicht selbstverständlich“, freut sich Kathrin Gumprecht-Fleck, Leitende Oberärztin der Notaufnahme am Krankenhaus Haßfurt. Und Melanie Krämer, freigestellte Praxisanleiterin in den Haßberg-Kliniken, ergänzt: „Das sind die Menschen, die wir uns auch als Mitarbeitende in unseren Krankenhäusern wünschen. Vielleicht entscheidet sich ja der eine oder die andere für einen Beruf in der Gesundheitsbranche.“
Den Schulsanitäterinnen und Schulsanitätern, die in Kooperation mit dem BRK-Kreisverband Haßberge ausgebildet und betreut werden, stand der Spaß an ihrer sozusagen ehrenamtlichen Tätigkeit bei dem Aktionstag ins Gesicht geschrieben. Wissbegierig und ohne Scheu erkundeten sie gemeinsam die Notaufnahme, ließen sich die notfallmedizinische Ausstattung im Rettungswagen erklären und übten fleißig Reanimation, stabile Seitenlage und legten mitunter komplizierte Verbände an Kopf, Sprunggelenk und Fingern an. Bunte Smoothies zu Beginn des Tages und leckere Burger in der Pause, zubereitet von der Küche des Krankenhauses, waren ein weiterer schmackhafter Motivationsschub.
Simone Gilley, Sachbearbeiterin in der BRK-Servicestelle Ehrenamt, Dozentin in der Erwachsenenbildung sowie Erste-Hilfe-Ausbilderin, lobt die Mädchen und Jungen, die sich an ihren Schulen als Schulsanitäter betätigen: „Die Jugendlichen leisten damit einen wichtigen Beitrag in ihrem direkten sozialen Umfeld und sind kompetente Ansprechpartner, wenn es um Erste Hilfe geht.“ Und das nicht nur in der Schule, denn auch Zuhause, in der Freizeit, im Verein oder sprichwörtlich auf der Straße können die Schulsanitäter mit ihrer Ausbildung und ihrem Wissen erkrankten oder verletzten Mitmenschen helfen. Die jungen Leute haben damit so manchem Erwachsenen in dieser Hinsicht einen Wissensvorsprung, denn wenn es um Erste Hilfe geht, sind sich Erwachsene oft unsicher, haben Angst etwas falsch zu machen und erkennen oftmals erst in einer Notsituation, dass sie womöglich wieder einmal einen Auffrischungskurs in Erster Hilfe machen sollten.
Dazu rät auch Simone Gilley, ebenfalls Lehrbeauftrage der Berufsgenossenschaften für den Fachbereich Erste Hilfe (EH), die gemeinsam mit ihren EH-Ausbilder-Kollegen Tina Jäger, Günther Schleelein sowie Marius Kleilein, der eine Ausbildung zum Notfallsanitäter absolviert, zum Aktionstag gekommen war. Denn der Großteil aller medizinischen Notfälle ereignet sich nicht im Straßenverkehr, sondern zuhause oder am Arbeitsplatz. Damit sind Familienangehörige oder Arbeitskollegen oft die ersten, die einem Betroffenen Erste Hilfe leisten müssen. Wer dann fit ist und die wichtigsten Handgriffe kennt, kann einerseits kompetente Hilfe leisten, andererseits auch die eigene Nervosität und Sorge auf ein Mindestmaß begrenzen. „Schulsanitäter sind deshalb Vorbilder für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, aber auch für die gesamte Gesellschaft“, bringt es Simone Gilley auf den Punkt.
Seitens der Haßberg-Kliniken wurde der Aktionstag von sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich aktiv unterstützt. Zur Begrüßung am Morgen war auch Pflegedienstleiterin Elisabeth Röhner gekommen. Gestartet wurde der Aktionstag schließlich mit der Besichtigung der Notaufnahme.
„Schockraum“ steht auf der Edelstahltür, hinter der sich direkt an der Liegend-Zufahrt der Klinik, für schwer erkrankte oder verletzte Patienten, die mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus eingeliefert werden, die erste Anlaufstelle befindet. Kathrin Gumprecht-Fleck, Leitende Oberärztin der Notaufnahme, erklärte den Schülern im Beisein von Nadja Will (stellv. pflegerische Leitung der Notaufnahme), die Ausstattung des Schockraums und wie hier kritisch kranke oder verletzte Menschen von einem Team aus Ärzten und Pflegepersonal in den ersten Minuten nach Ankunft im Krankenhaus soweit stabilisiert werden, dass anschließend eine weitere Diagnostik und Behandlung erfolgen kann. Notfallmedizinische Geräte wie EKG, Defibrillator, Überwachungsmonitor für Herz und Kreislauf, ein Ultraschallgerät und vieles mehr gehören hier zur Grundausstattung. Aber auch für nicht akut lebensgefährlich erkrankte oder verletzte Patienten stehen in der Notaufnahme weitere Behandlungsräume zur Verfügung, in denen erste Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt werden und dann geklärt wird, ob eine stationäre Aufnahme erfolgen muss oder die Klinik nach ambulanter Hilfe wieder verlassen werden kann.
Das BRK hatte einen Rettungswagen mitgebracht. Die Schüler konnten diesen ausgiebig von Innen betrachten und verschiedene notfallmedizinische Geräte wie EKG, Beatmungsgerät und Absaugpumpe und deren Funktionen kennenlernen, aber auch mechanische Ausrüstung wie beispielsweise die Vakuum-Matratze selbst ausprobieren. Darauf werden Patienten gelagert, bei denen beispielsweise eine Verletzung der Wirbelsäule in Betracht kommt. Liegt der Patient auf der Matratze, wird die Luft aus deren Innerem abgesaugt, sie formt sich dann wie eine Art Gipsbett fest an den Körper des Verletzten an, wodurch dieser immobilisiert wird. Notfallsanitäter-Azubi Marius Kleilein gab zusammen mit Oberärztin Gumprecht-Fleck, die auch als Notärztin im Einsatz ist, fachkundige Erklärungen.
Bei der nächsten Station mussten die Schulsanis ihr Können dann unter Beweis stellen. Gemeinsam mit Simone Gilley und Tina Jäger vom BRK sowie Piotr Fedorowicz (pflegerische Leitung der Intensivstation) und Kollegin Melanie Krämer wurde beispielsweise die stabile Seitenlage geübt und die Reanimation an Übungspuppen. Von den beiden EH-Ausbilderinnen gab es dabei ein Lob für die Schulsanitäter, die das souverän meisterten. Dank galt auch den beiden Lehrerinnen Nina Lang (Realschule Ebern) und Katrin Esch (Realschule Hofheim), die die Schulsanitäter betreuen und immer wieder mit ihnen üben. In Ebern sind aktuell mehr als 20 und in Hofheim 15 Schüler im Schulsanitätsdienst tätig.
Das Anlegen von Verbänden an Kopf, Knöchel, Unterarm und Fingern wurde bei Station Nr. 4 trainiert. BRK-Mitarbeiter Günther Schleelein, Mitglied der ehrenamtlichen Gruppe „Realistische Unfalldarstellung (RUD)“, hatte dafür in seinen Schminkkoffer gegriffen. Als „Verletzte“ hielt Eva Hückmann (Praxisanleiterin der Haßberg-Kliniken) her, die von Schleelein eine realistisch aussehende Kopfplatzwunde sowie eine massive Schnittverletzung am Unterarm angeschminkt bekam. Katrin Günther, Mitarbeiterin in der Notaufnahme, gab derweil Tipps zu Verbänden.
Für die Schulsanitäter ein rundum interessanter Tag mit vielen neuen Eindrücken. Ob die eine oder der andere von ihnen später vielleicht einen medizinischen Ausbildungsberuf erlernen möchte, wird sich zeigen. Für Daniela (14) von der Realschule Ebern stand der Entschluss schon vor dem Aktionstag fest: „Ich möchte nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zur Rettungs- oder Notfallsanitäterin machen.“
Stichwort: Schulsanitätsdienst
Am vom BRK unterstützten Schulsanitätsdienst beteiligen sich im Landkreis aktuell 13 Schulen: die Mittelschulen Haßfurt, Hofheim, Ebern, Eltmann, Zeil am Main und Knetzgau, die Realschulen Haßfurt, Hofheim, Ebern und Eltmann, die beiden Gymnasien Haßfurt und Ebern sowie die Waldorfschule Haßfurt.
Schülerinnen und Schüler, die das BRK näher kennenlernen möchten und sich für einen Bundesfreiwilligendienst oder eine Ausbildung interessieren, können sich an die Personalabteilung des BRK-Kreisverbandes Haßberge unter Tel. 09521/9550-215 wenden. Für Ausbildungsberufe in den Haßberg-Kliniken gibt es im Haus Haßfurt Auskunft unter Tel. 09521/28-0. Für September 2024 planen Haßberg-Kliniken und BRK den nächsten Aktionstag für Schulsanitäter.
Text & Fotos: Michael Will / BRK